Karate heute

Mit Änderung der politischen Rahmenbedingungen wurde der Bedarf nach Selbstschutz unwichtiger. Das Kampfsystem jedoch blieb und erlebte eine massive Weiterentwicklung, wobei der Aspekt der Effektivität in den Hintergrund trat. Stattdessen traten andere Aspekte des Karate hervor.

Physische Aspekte

Karate ist ungemein dynamisch: In geschmeidigen, präzisen Bewegungen wechseln sich Anspannung und Entspannung ab, unterstützt von kontrollierter Atmung. Dabei werden Körperkraft, Ausdauer und Beweglichkeit trainiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten wird im Karate der gesamte Bewegungsapparat einbezogen und gestärkt. In diesem Zusammenhang ist auch ein medizinischer Nutzen des Karate verständlich: Durch das Training wird Muskulatur ausgebildet und verstärkt, die den Bewegungsapparat besser zu stützen vermag. So können z.B. bestimmte Rückenschmerzen oder auch Verspannungsschmerzen gelindert oder gar beseitigt werden. Karate kann also auch zur Gesunderhaltung und Gesundung des Körpers eingesetzt werden.

Psychische Aspekte

Mit dem Üben der verschiedenen Techniken werden auch deren beabsichtigte Wirkungen auf den Gegner vermittelt. Diese Einsichten haben in aller Regel zwei Auswirkungen auf den Übenden:

  • Die Effektivität und Wirksamkeit der Kampftechniken wird erkannt, wobei sich der Karateka seiner Verantwortung bewußt wird. In logischer Konsequenz entsteht dabei der Wunsch, die erlernten Techniken möglichst nie einsetzen zu müssen.
  • Andererseits hat der zunehmende Lernfortschritt auch ein zunehmendes Vertrauen in die erlernten Fähigkeiten zur Folge.

Beide Aspekte resultieren im Ausbau des Selbstbewußtseins, dem Abbau von Ängsten, mehr innerer Ruhe, Sicherheit, Gelassenheit und mentaler Stärke. Karate bewirkt somit eine Weiterentwicklung des Charakters.

Philosophische Aspekte

Darüber hinaus wurde Karate als Möglichkeit gesehen, durch ständiges Streben nach Perfektion der Bewegungsabläufe und konstanter Arbeit an sich selbst zu einem höheren Bewußtsein zu gelangen. Karate wurde von einem Kampfsystem zu einer Kampfkunst, deren Erlernung auf zwei grundlegenden Prinzipien beruht:

  • Disziplin: Das Erlernen von Karate ist eine der schwierigeren Aufgaben, der sich ein Mensch in seinem Leben stellen kann. Um diese Aufgabe bewältigen zu können ist ein hohes Maß an (Selbst-) Disziplin unabdingbar.
  • Respekt: Damit ist nicht nur der Respekt vor dem Lehrer gemeint, sondern in vorrangigem Maß auch der Respekt vor den Mitübenden. In diesem Verständnis werden alle Karateka als gleichrangig betrachtet. Sie unterscheiden sich lediglich durch ihren unterschiedlichen Fortschrittsgrad. Sie sind so in etwa Wanderern vergleichbar, die auf einem Weg unterschiedlich weit gekommen sind. Karate wird zu Karate-Do, dem "Weg der leeren Hand".

Soziale Aspekte

Das Erkennen der prinzipiellen Gefährlichkeit der Techniken führt in Verbindung mit dem Respekt vor dem Übungspartner zu einer verbesserten Konfliktfähigkeit. Streitigkeiten werden verstärkt durch konstruktive Gespräche gelöst. Auf diese Weise klärt sich der scheinbare Widerspruch, weshalb Gewaltprävention durch Ausübung eines offensichtlich gewalttätigen Kampfsports bewerkstelligt werden kann.

Es wird ausdrücklich Wert darauf gelegt, den Übungspartner nicht als Gegner zu sehen, sondern als Freund, der einen auf dem gleichen Weg begleitet. Diese Sichtweise wirkt sich auch auf das Verhalten des Einzelnen in der Gruppe aus. Respekt und Toleranz ziehen sich quer durch alle Altersklassen und Gürtelgrade.

Sportliche Aspekte

Insbesondere durch die Verbreitung des Karate auch in der westlichen Welt kam es zu einer "Versportlichung". Karate wurde als "Kampfsport" aufgefaßt, der entsprechend reglementiert zu Wettkämpfen herangezogen wird.


Karate ist also äußerst vielseitig, wobei jeder Karateka die Schwerpunkte für sein Training individuell festlegt.